Unsere. Persönliche. Essenz.

Realitätsverlust

Das Projekt Realitätsverlust im echten Leben. Fremde Personen ansprechen: „Guten Tag. Ich würde Ihnen gerne nur anhand Ihres Äußeren sagen, wer Sie sind.“

Und los geht´s. Einfach sagen, was einem in den Sinn kommt. Welches Alter? Welcher Beruf? Familienstand? Kinder? Hobbies? Respektvoll, versteht sich.
Manchmal überraschend richtig liegen und manchmal überraschend falsch. Für mich persönlich sehr bereichernd zu sehen, dass die Welt meistens nicht so ist, wie man sie bisher konstruiert hat. Daraus ergibt sich das gute Gefühl von sehr viel mehr Möglichkeiten als man ursprünglich geglaubt hat.

Die Herausforderung liegt darin täglich mehrmals fremde Personen anzusprechen. Dazu muss ich mich immer wieder überwinden. Bisher waren viele der Projekte so aufgebaut, dass ich etwas zur Verfügung gestellt habe und Leute selbst entscheiden konnten, ob sich auf mich zukommen oder nicht (z.B. Projekt eins). Das Ansprechen bringt jetzt aber die Gefahr mit sich, zurückgewiesen zu werden. Das ist nicht angenehm.

Ich bin mir durch das Üben mittlerweile sicher, dass ich das gut aushalte. Und, dass gerade diese Erkenntnis in Kombination mit dem Entdecken neuer Möglichkeiten einer der positivsten Effekte des Projekts für mich ist.

Parallel dazu haben wir auch eine Facebook-Variante erarbeitet. Hier bekomme ich immer wieder sehr eindrucksvoll vorgeführt, welche Bedeutung die Meinung anderer für mich hat. Jeden Tag mehrmals der Blick darauf, wie viele Leute etwas geliked oder geshared haben. Freude darüber, wenn etwas aufgeht. Bestätigung.
Das Posten auf Facebook eignet sich hervorragend, um komplexe Ideen auf ihren Kern zu reduzieren. Lange Texte interessieren keinen Menschen. Kurze Sätze, ein anschlussfähige Message in Kombination mit einem Nutzen für das Gegenüber und ab geht die/der Post. Man erarbeitet sich dadurch auch eine schöne Klarheit für sich selbst. Findet eine Antwort darauf, worum es einem da eigentlich geht.

Spürbar ist aber auch, dass das Gesellschaftslabor mit all den Effekten, Erlebnissen und Begegnungen im echten Leben am besten aufgehoben ist. Wir sind daher auch 2016 wieder sehr, sehr viel im öffentlichen Raum unterwegs. Dort sind wir gut. Dort gefällt-es uns. Dort sind wir wirkungsvoll.

WIRKlichkeit

„ Das ist mal Aktionismus.“

Sagte der volltrunkene Passant am Dienstag Morgen und hatte auf absurde Weise einen Nerv getroffen. 22 Stunden stehen, nichts tun, schweigen und da sein. Einige Spuren, vor Allem aber Fragen:

Montags zum ersten Mal Position bezogen. Die erste Stunde stehen in einer Masse, die einen umgibt und aufsaugt. Am Anfang ganz aufgeregt und gespannt, was alles so passieren mag. Dann die ersten Reaktionen: positiv, negativ, besorgt (um sich oder mich), genervt, begeistert, erschrocken, fragwürdig, verstanden. Jetzt ist man drin. Jetzt sieht man die fragenden Blicke und das Arbeiten in den Köpfen. Die Frage ist da, die Antworten müssen selbst geschmiedet werden.

Dann kommt irgendwann die Veränderung. Das Stehen wird zum Alltäglichen – erst für den Stehenden, dann für die Gehenden. Keine Reaktionen mehr. Man dringt ein in die Wirklichkeit. Man ist drin und wird zum etablierten Störer. Unsichtbar. Der Rollentausch ist perfekt. Von Was macht der da? zu Was mach ich hier?. Und plötzlich stellen sich Routinen ein. Menschen die grüßen. Menschen die ermunternde Schulterklopfer verteilen. Eine Beziehung mit Fremden. Schnittmenge ist die eine Kreuzung an dem einen Ort.

Jetzt gehts um die Nuancen. Ein strenger Blick. Ein offener Blick. Müde Augen. Wache Augen. Ein Sticker. Kein Sticker. Viele Beobachter der eigenen Beobachtung passieren nur. Der Rest mag in den Köpfen weitergehen. Manche haben Fragen – auf die es keine Antworten gibt. Manche wollen mehr wissen – wo es nichts zu wissen gibt, sondern nur zu erfahren. Alle sind Teil.

Wieviel Bruch des Normalen braucht es? Um wen geht’s? Wer reagiert? Und warum die und die anderen nicht? Kann man auch passiv reagieren? Sind die Besorgten wirklich besorgt? Und warum? Wie gefährlich ist die Unsichtbarkeit? Und wieviel Unsichtbares gibt es? Warum lacht man, bevor man es versteht?
Viele, viele Fragen schwirren umher. Wenn da draußen irgendwo Antworten sind, dann her damit!

„Ist das Kunst?“ – Gerne würde ich Nein, es ist Realität! sagen, schweige aber kunstvoll.
 

ichmachwasihrwollt

Tag 5 – ichmachwasihrwollt

Auch am letzten Tag von ichmachwasihrwollt gelingt es mir nur sehr eingeschränkt, Entscheiden komplett aufzugeben und mich treiben zu lassen. Immer wieder werte ich und treffe damit richtungsgebende Minientscheidungen.

Außenorientierung: Ist es ein „gutes“ Projekt? Gibt es Likes auf Facebook? Ist es ernsthaft genug oder Kindergeburtstag? Gefällt es den Menschen rundherum? Auch das war immer wieder Teil meiner Überlegungen.

Eindrücke Max:
Am zweiten und letzten Tag des Projekts frage ich mich, ob den Menschen um uns herum wirklich so viel egal ist, wie wir es erfahren. Ob du dich nach dem Mittagessen erkundigst oder denjenigen erfahren möchtest, der 100€ gespendet bekommt – juckt keinen. Außer uns vielleicht. Ein Auftrag wie diese 100€ bewegt etwas. Es sind wenige, aber gute, die es dann doch interessiert und nachhaken – warum, wer, was, wohin geht es und woher kommt es.

Fazit nach zwei Tagen: Zu kurz und durchhalten. Die Täler können tief sein aber dadurch werden die Höhen nur höher. Und Danke!

Tag 4 – ichmachwasihrwollt

Facebook bzw. Onlinepräsenz verändert das Projekt. Ich persönliche denke in vielen Situationen daran, ob es gerade jetzt vernünftig wäre ein Bild/Video zu machen, um das Erlebte möglichst gut im Internet zu teilen. Das lähmt mich. Schränkt mich ein.

Ich bemerke auch, dass ich von Tag zu Tag etwas mehr davon enttäuscht bin, dass ich ichmachwasihrwollt nicht ganz in eine von mir insgeheim erwünschte Richtung gebracht habe. Die Botschaften vielleicht nicht gut genug kommuniziert habe. Ich schätze es auch diese Erfahrung zu machen um so in Zukunft mit noch wirkungsvolleren Projekten an den Start zu gehen.

Am Tag 4 und auch am morgigen Tag 5 begleitet mich mein Freund Max, dem ich auch an dieser Stelle dafür eine herzliches „Danke Digga“ schicken will!

Max´s Impressionen von Tag 4:

Der Start viel mir relativ schwer, meine Hemmschwelle fremde Menschen anzusprechen um mich/uns zu entscheiden ist dann aber recht schnell gesunken. Kleider machen Leute – zumindest nach außen. Sobald man dann ins Gespräch kommt, ist man überrascht, wie sehr man sich oft vom ersten, oberflächlichen Eindruck täuschen hat lassen.

Tag 4 wurde durch die Aufgabe des „Händchen haltens“ geprägt. Eine kleine Geste mit großer Wirkung. Positive Resonanz von Personen mit denen man normalerweise in Konkurrenz stehen würde.

Tag 3 – ichmachwasihrwollt

Ich habe ichmachwasihrwollt bewusst ganz offen gelassen. Keine Einschränkungen des Ortes, der finanziellen Mittel,… Der heutige Tag 3 hat mir sehr schön gezeigt, wie wenig Bewusstsein ich bisher dafür hatte, wie ich jedes Entschieden werden inhaltlich werte. Wenn ich tatsächlich unentschieden sein will und damit Dinge nicht von vornherein diskriminieren will, führt für mich kein Weg daran vorbei auch dieses – teilweise sehr automatisierte, fast unbewusste – Werten zu hinterfragen. Die Grenze zwischen Werten und Entscheiden erlebe ich als sehr, sehr schmal.

Spannend erscheint mir die Analyse der online abgegebene Entscheidungen. Die Bandbreite ist enorm und ich hüte mich sehr davor, dahinterstehende Beweggründe festzulegen. Spontan scheint es mir, als steckt hinter den Aufgaben oft ein eigener Wunsch sich Dinge zu trauen. Das Gefühl, dass der Wunsch vorhanden ist, jemanden in Schwierigkeiten zu bringen, habe ich bisher noch nicht wahrgenommen.

Es scheint auch ein gewisses Massenphänomen hinter der Aufgabenausrichtung zu geben. Polterabendaktion zieht Polterabendaktion nach sich, Mitmenschaktion eher Mitmenschaktion.

Das Projekt wird sich am morgigen Tag 4 etwas verändern. Mehr dazu dann tagesaktuell auf Facebook. Für heute war´s das. Vielen Dank an alle, die mitgemacht haben!

Tag 2 – ichmachwasihrwollt

Das Projekt verändert etwas hinsichtlich meiner Einstellung zu (alltäglichen) Entscheidungen. Sie erscheinen unwichtig. Tätigkeiten und Schauplätze werden zur Nebensache. Ich hab mich mit und gondle unentschieden durch die Welt. Was Relevanz hat ist gut eingepackt, wenn ich mich akzeptiere, ehrlich zu mir bin und entsprechend agiere.

Auch interessant zu beobachten und mit dem ersten Punkt verbunden ist die Tatsache, dass Veränderungen am Körper – Haltung, Kleidung, Ausdruck – viel mehr Einfluss auf das Verlassen von Routinen haben als Orte und Tätigkeiten. Letzteres erscheint, wie oben bereits angeführt, fast wirkungslos.

Tag 1 – ichmachwasihrwollt

Wow, was für ein erster Tag! Ich bin k.o. will aber doch noch ein paar erste Eindrücke aufschreiben.
Start: „Gehe auf die Straße, versperre den Passanten den Weg und lasse sie erst durch, wenn du sie überzeugt hast, dass sie an dem Projekt mitmachen und dir eine Entscheidung abgenommen haben…“ Okay, los geht´s. Aber wie eigentlich? Fahrrad, Ubahn oder gar Auto? Mitmensch entscheidet Fahrrad. Gut. Aber welche Route? Okay auch nachgefragt und entschieden worden. Ankunft Mahü. Hunger. Werde zum Bobobäcker geschickt. Verkäuferin wählt mir ein Rosinenbrötchen aus. Rosinen hasse ich.

Zurück zur ersten Online-Entscheidung: Passantin aufgehalten und gefragt, was zu tun ist: „Such Dir einen Job“. Nächste Entscheidung: wo, wie? Anderer Passant entscheidet: „Ganz klar, Hotel“. Nächste Person: „Hotel Arian“. Dort angekommen Rezeptionist: „Kein Job, gehen Sie zurück auf die Mahü und fragen Sie jemand anderen“. „Marktstand“. Nix. „Kantine MQ“. Nix. „Caritas Westbahnhof“. Warteliste, Einsatz frühestens Ende der Woche. Mann schickt mich ins Westend, Kellner serviert mir ein Bier und entscheidet, dass ich in 15 Minuten wieder gehen muss. Zeitgleich Online-Anweisung: „Mach ein Nickerchen auf einer Bank“. Super, ein Bier intus und jede Menge Bänke im Westend. Dann die Anweisung: Univortrag über die Gleichstellung von Katze und Hund. Ich werde entschieden: Wirtschaftsuni, Audimax, eh klar: